Erschöpfte Wissenschaft, VPOD Erfolg in Basel, Demokratie
In den letzten zwei Wochen war ich immer wieder krank, habe mich auf das wesentlichste beschränkt und längst fällige Rezensionen geschrieben und abgegeben. Deshalb halte ich diesen Journal-Eintrag für die vergangenen zwei Wochen kurz.
Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste
In der Session vom 11.12.24 hat der Große Rat des Kantons Basel-Stadt den „Anzug betreffend Verbesserung der Anstellungs- und Arbeitsbedingungen sowie Chancengleichheit an der Universität Basel“ (Nr. 24.5212.01) angenommen.
Das ist ein erster Erfolg in Richtung einer nachhaltigen Reform des wissenschaftlichen Mittelbaus an der Universität Basel, der schon lange gefordert wird und durch Druck aus der Gewerkschaft langsamen Schrittes vorankommt.
Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Basel freue ich mich über solche Neuigkeiten.
Eine Anstellung in der Wissenschaft gibt Freiheit vor finanzieller Existenznot und bringt allem voran die Gelegenheit mit sich, in einem Fachgebiet zu forschen. Die meisten haben eine Leidenschaft dafür und sind bereit, dies im Rahmen befristeter Anstellungen, langer Arbeitstage und eines geringen Einkommens, trotzdem auf Freizeit und sichere Arbeitsverhältnisse zu verzichten. Menschen nehmen das in Kauf, wenn sie dafür ungestört und in einem förderlichen Umfeld wissenschaftlich arbeiten können.
Allerdings ist die Realität, gerade wenn man Familie und Kinder hat, nicht so romantisch, wie es auf den ersten Blick klingen mag.
Diese einseitige Strukturierung der wissenschaftlichen Karriere auf die Professur hin hat einen sozialdarwinistischen Drive, der junge Promovierende und Pos-Docs antrieb, sich für die kleine Chance auf eine Festanstellung als Professor selbst auszubeuten, obwohl am Ende die Wahrscheinlichkeit höher ist nicht als Professor berufen zu werden.
Die Allermeisten durchschauen das grausame Spiel und immer weniger sind bereit, unter solchen Bedingungen weiter mitzuspielen – oder scheiden schlicht durch den hohen Druck und den gesundheitlichen Folgen aus. Zumal man nicht nur als Naturwissenschaftler oder Ingenieur schnell Arbeit bei Unternehmen findet, die deutlich höhere Gehälter bezahlen, bei gleichzeitig familienfreundlicheren Arbeitszeiten. Wer wills missgönnen?
Deshalb wird es immer schwieriger Stellen zu besetzten: Nur noch 16 % der Promovierenden wollen langfristig eine Professur anstreben; nur noch etwa ein Drittel der Post-Docs sehen ihre Zukunft in Forschung und Lehre; und 57 % der befragten Forscherinnen und Forscher haben in den vergangenen zwei Jahren in Betracht gezogen, aus der Wissenschaft auszusteigen. „Weil sie die hohe Arbeitsbelastung nervt. Weil sie nicht entfristet werden. Weil sie daran zweifeln, gut genug für eine Professur zu sein.“ (Die Zeit)
"Es ist das erste Mal in unseren Befragungen, dass für diese Gruppe nicht mehr die Professur das erste Karriereziel darstellt", sagt Gregor Fabian vom DZHW. (Die Zeit)
Das ist in der Schweiz nicht anders, genau deshalb ist die positive Abstimmung über den Auszug zur Verbesserung der Arbeitsverhältnisse für wissenschaftliches Personal an der Universität, die keine Professorinnen sind, so ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
„Diese Situation betrifft rund 67% aller Angestellten mit Doktorat, sprich Personen mit hohen Qualifikationen, deren Durchschnittsalter über 35 Jahren liegt. Zum Vergleich: 2022 waren schweizweit nur 8.6% aller Arbeitnehmenden befristet angestellt. Prekäre Arbeitsverhältnisse und fehlende Zukunftsaussichten haben nicht nur einen negativen Effekt auf die psychische Gesundheit, sondern mindern auch die Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Basel. Zahlreiche herausragende Wissenschaftler:innen, darunter überdurchschnittlich viele Frauen, beenden aufgrund der untragbaren Arbeitsbedingungen und der Unvereinbarkeit von Karriere und Familie vorzeitig ihre wissenschaftliche Laufbahn.“ – 24.5212.01
Konsequenzen für sexuelle Übergriffe als Professor?
Kollegialität unter Gleichgestellten und Ausnutzung der strukturellen Machtvorteile schliessen sich eben nicht aus.
Nicht nur die Arbeitsverhältnisse an der Universität Basel geben zu reden.
Die Zuspitzung der institutionellen Hierarchie auf die Professur hat seit jeher auch andere Schattenseiten.
Nachdem im Kassensturz von sexuellen Übergriffen an der Universität berichtet wurde, nahm die Uni vor zwei Wochen Stellung dazu. Es zu lesen, ist ernüchternd, zu Recht kritisiert Benjamin Hits, PD an der Uni Basel, in einem Artikel in der BAZ diese Stellungnahme als unsensibel gegenüber den tieferliegenden, strukturellen Problemen der Uni – die solche Missbräuche überhaupt erst ermöglichen.
Die Prekarität des Mittelbaus, die Abhängigkeit von guten Bewertungen, die befristeten Stellen und die damit verbundene personelle Fluktuation sind Faktoren, die einen Machtmissbrauch erst ermöglichen. Braun Binder zeigt jedoch wenig Sensibilität dafür, wenn sie im Interview das professionelle und nahbare Umfeld an der Juristischen Fakultät lobt. Kollegialität unter Gleichgestellten und Ausnutzung der strukturellen Machtvorteile schliessen sich eben nicht aus. [...] die jetzt aufgestockte Anlaufstelle für Persönliche Integrität mag künftig Opfer schneller und besser unterstützen, kann aber das Grundproblem nicht beheben. (Benjamin Hitz)
Bedankt man auch, dass die durch Abhängigkeit bedingte sexuelle Ausnutzung ein Straftatbestand (nach StGB 193), scheint die Vorgehensweise des Rektorats wenig beherzt.
Zumal der persönliche Bericht von Esther Uzar das bizarre Ausmaß der besagten Abhängigkeitsverhältnisse und deren inakzeptablen Folgen für die Betroffenen an der Uni anzeigt.
Sich am Arbeitsplatz einkuscheln?
Bei einer Anhörung des Wissenschaftsausschusses des Landtags NRW berichtete Prof. Dr. Amrei Bahr davon, dass die meisten „Nachwuchswissenschaftlerinnen“ nicht mehr eine Professur anstreben würden, weil die Arbeitsverhältnisse zu unattraktiv seien. Sie impliziert damit eine Forderung nach wissenschaftlichen Festanstellungen außerhalb der Professur, wie es sie vor allem in skandinavischen Ländern schon lange gibt, bspw. als Senior Researcher oder Forschungsprofessuren, die von der Lehre befreit sind. Prof. Dr. Brigitte Wolf verstand dieses Plädoyer für mehr Professuren bzw. auch anders profilierten wissenschaftlichen Festanstellungen negativ als „einkuscheln“ im Mittelbau. Die pejorative Verwendung von „einkuscheln“ in diesem Kontext nahm ich als entlarvend wahr – nur eine Ideologie, die Qualität und Leistung mit Kälte und Härte assoziiert, nimmt „einkuscheln“ als Schwäche oder Nachteil wahr.
Ätzend genug, wenn 35-jährige Wissenschaftlerinnen mit langjähriger Erfahrung und nachweislicher wissenschaftlichen Leistungen als „Nachwuchs“ oder nicht selten auch als „junge Leute“ bezeichnet werden. Diese Kosenamen sind geradezu Synonym geworden für die Bezeichnung des prekär angestellten wissenschaftlichen Universitätspersonal, das sich dadurch von den unbefristet angestellten Professoren und Verwaltungsangestellten unterscheidet.
Die Botschaft: Man muss schon erst Prof. werden, ehe man als vollwertige Wissenschaftlerin anerkannt wird. Und dieser Weg muss bitte steinig und entbehrungsreich sein.
Nein danke, dann doch lieber bei einem Unternehmen oder einer Organisation arbeiten, die ihre Angestellten wertschätzt und schützt.
Das muss aber nicht so sein!
„Denn gegen eine toxische Arbeitsumgebung hilft es am besten, wenn immer mehr der dort Tätigen sich deren schädlichen Standards nicht länger unterwerfen. Das Rattenrennen lässt sich nur stoppen, wenn wir alle langsamer werden. Je weniger von uns Überstunden machen, desto seltener werden sie selbstverständlich erwartet.“ – Amrei Bahr
Erschöpfte Wissenschaft
Warum wird die Universität selbst nicht mehr erforscht?
Auf der Suche nach einer Antwort bin ich auf diesen Podcast gestoßen. Mit so vielen, klaren Antworten, so viel Ehrlichkeit und persönlicher Transparenz hätte ich im Leben nicht gerechnet.
Mich hat das ganz besonders auf das Jahresende hin ermutigt, weiterzumachen, nicht aufzugeben und mich unbedingt dafür einzusetzen, dass der wissenschaftliche Standard nicht auf Kosten von Menschen geht – auch nicht auf Kosten derer, die Wissenschaft betreiben.
Vielmehr leidet gerade die wissenschaftliche Qualität, wenn die Menschen und ihr Wohlbefinden nicht an erster Stelle stehen. Das gilt nicht nur für Unternehmen, sondern umso mehr für die wissenschaftliche Arbeit.
Besonders beeindruckt haben mich das Interview in Folge 8 mit dem Kirchenrechtler Prof. Hans Michael Heinig und die von ihm angeführte Studie der Volkswagenstiftung zu Wissenschaftskulturen in Deutschland, die sich explizit den von mir oben geschilderten Problemen den prekären Arbeitsverhältnissen an den Universitäten widmet.
Da wird nicht zuletzt zu dem von mir vorgebrachte festgestellt, dass die gesetzliche Beschränkung der Arbeitsbefristung an Universitäten Innovation explizit hemmt, weil (a.) vielversprechende Wissenschaftlerinnen vorzeitig ausscheiden, (b.) die Nachrekrutierung Missverhältnisse zwischen erfahrenen und noch auszubildenden Wissenschaftlern schafft und (c.) führt dazu, dass Gruppenleiter oder Professorinnen mehr Anträge für Drittmittel schreiben als sinnvoll, um finanzielle Risiken auszuschließen, was viel Zeit kostet, die wiederum für die Forschung fehlt.
Quer zu den Fallstudien und den Veranstaltungen wurde deutlich, dass die gegenwärtige Unmöglichkeit, semistabile Forschungsteams, vor allem in Universitäten, zu bilden, der größte Hemmschuh für originelle und effiziente Forschung ist. Hier steht das Wissenschaftszeitvertragsgesetz im Weg. Insbesondere fehlt es aber an Bereitschaft auf Seite der akademischen Einrichtungen, die Risiken der Drittmittelforschung mitzutragen, und Übergangsfinanzierungen zwischen Projekten sicherzustellen. (S. 7)
Professoren sind in allen Fächern zunehmend „stark überbelastet“. Wen wundert es? Während administrative Aufgaben, wie das Schreiben von Drittmittelanträgen, zugenommen haben, gibt es kaum erfahrene Mitarbeitende, die entlasten könnten, weil diese ständig ausgewechselt werden.
Die Überlastung mindert die Qualität der Arbeit und die Möglichkeit, intellektuell neue Wege zu beschreiten. Das Berufsbild Professor:in präsentiert sich für den talentierten Nachwuchs zunehmend unattraktiv (S. 7)
Die Studie weist auf die Notwendigkeit hin, attraktivere und langfristigere Karrieremöglichkeiten „jenseits der Professur“ zu Entwickeln.
Ein Lichtblick.